Sicherheit beim Routenbau

Erfolgreicher Workshop am Alpinzentrum

„Am besten, ihr singt!“ sagt Julius Kerscher, „dann merkt ihr, ob eure Route zu viel Körperspannung erfordert“. Mittagspause am zweiten Tag des Routenbauworkshops im Alpinzentrum. Im Stüberl gibt’s Pizza, und sechs Leute vom Routenbauteam der Sektion Erding fragen sich: „Warum soll ich beim Routenbau singen?“ Julius Kerscher löst das Rätsel auf: „Wenn ihr eine leichte Route schraubt, beispielsweise im Schwierigkeitsgrad 4, dann solltet ihr darauf achten, dass für die Bewegung nicht zu viel Körperspannung benötigt wird. Anfänger tun sich damit nämlich schwer. Und wenn ihr beim Routenbau die Bewegungen in der neuen Route singend klettert, dann merkt ihr schon, ob Körperspannung benötigt wird. Singen und Bauchmuskeln anspannen geht nämlich nicht gut zusammen!“

Seit knapp einem halben Jahr ist der Kletterturm am Kronthaler Weiher jetzt in Betrieb. Und eine Kletteranlage ist immer nur so attraktiv, wie die Routen und Boulder daran attraktiv sind. Die „Erstausstattung“ an Kletterrouten wurde beim Bau von der Firma T-Wall gleich mit erledigt.

Einige Routen haben Erdinger Aktive seitdem schon zusätzlich am Turm installiert. Aber eigentlich fängt die Arbeit beim Routenbau an unserem Kletterturm jetzt erst an. Denn wie an jeder Kletteranlage sollen auch am Erdinger Turm ständig neue sportliche Herausforderungen in allen Schwierigkeitsgraden für interessierte Sektionsmitglieder entstehen. Alte Routen werden demontiert, neue kommen an den Turm. Für mindestens fünfzehn zusätzliche Routen und zahlreiche Boulder sind Griffe und Tritte bestellt, in unterschiedlichen Farben und Formen. Die werden passend zur vorgesehenen Schwierigkeit in die Wand geschraubt. Abgeschlossen ist der Routenbau nie, denn damit die Anlage spannend und abwechslungsreich für Breitensportler, Genusskletterer und Leistungssportler bleibt, werden die Routen und Boulder ständig verändert.

Für den Routenbau braucht man also ein gewisses Verständnis für kletterspezifische Bewegungen, aber vor allem braucht man spezielle Kenntnisse in der Höhenarbeit. Denn darum handelt es sich beim Routenbau: Um Höhenarbeit, vergleichbar zum Beispiel mit der Tätigkeit von Baumpflegern, die mit Seilen gesichert in großer Höhe Äste zurückschneiden. Und deshalb ist Julius Kerscher an diesem letzten Februarwochenende nach Erding gekommen. Er gehört zu den profiliertesten Routenbauern in Deutschland und ist im Bundeslehrteam des DAV für die Ausbildung in diesem Bereich zuständig.

Nikola Wörz, die im Alpenkranzl den Routenbau organisiert, hat Julius im Rahmen eines Workshops der Firma Petzl ins Alpinzentrum geholt. Denn an unserer Anlage fangen wir gerade erst an: Mit dem neuen Turm bildet sich derzeit ein Team von ehrenamtlichen Routenbauern, die gemeinsam lernen, wie neue Routen sicher an den Turm gebracht werden. Mit dabei sind Anton Kaiser, Moritz Kreuzpointner, Severin Lex, Jonas Steinmetz, Rosa Thees und Nikola Wörz.

Die Bedingungen am Workshop-Wochenende sind ziemlich garstig: Minusgrade, Schnee, eiskalter Wind. Immer wieder wechseln die Teilnehmer zwischen Theorieeinheiten und Trockenübungen im Mehrzweckraum und praktischen Lehrinhalten am Turm. Dort geht es um die Installation von Personenseil und redundanter Lifeline, um den Aufbau des Flaschenzugs für Werkzeug und Material, um Positionierungsmittel und Auffanggurte sowie um Rettungsabläufe unter Verwendung von Flaschenzügen. Denn auch das gehört zur Ausbildung der Erdinger Routenbauer: Verletzte aus der Wand zu bergen. Aber das Ziel lautet: Verletzungen von vorneherein vermeiden, indem die Arbeitssicherheit beim Routenbau immer im Vordergrund steht. Der Workshop mit Julius Kerscher bildet dafür die Grundlage, auf der die Sektion aufbauen wird, mit regelmäßigen Schulungen in Sachen Sicherheit beim Routenbau.

Das Team der Sektion ist  jedenfalls hochmotiviert. Und zu tun gibt’s genug: Kletterturm und BoulderAirea brauchen fürs Frühjahr neue Routen und Boulder, das Sektionsjubiläum mit dem ersten Wettkampf steht ins Haus. Wenn also bald die Sektionsmitglieder am Alpinzentrum jemanden singen hören, dann entsteht wahrscheinlich grad eine neue 4er-Route. Leichte und mittelschwere Routen sind übrigens ein Schwerpunkt beim Routenbau in den nächsten Monaten, auch an der Westwand mit ihren überhängenden Bereichen. Dort ist der Routenbau aus dem Seil besonders anspruchsvoll. Für das Routenbauteam vom Alpenkranzl ist nach den beiden Kurstagen aber auch das sichere Schrauben im Überhang kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Die Teilnehmer vom Workshop mit Julius Kerscher können von den Regeln der Höhenarbeit nach zweimal neun Stunden gewissermaßen ein Lied singen.

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